Autoritärer
Kapitalismus
Europäische Antifaschisten
diskutierten Ursachen des Stimmenzuwachses für extreme Rechte
bei den Europawahlen. »Komitee der Wachsamkeit« gefordert
Gitta Düperthal
Internationales
Podium: Cornelia Kerth, Anita Baudouin, Kees van der Pijl, Ulrich
Schneider, David Tucker und Gregorius Touglides (v. l. n. r.) debattierten
am vergangenen Freitag in Frankfurt am Main
Foto: Ulf Stephan/ r-mediabase.com
Wie hat es zu diesem Fiasko kommen
können? Die Debatte über die Ursache des Stimmenzuwachses
für neofaschistische und rechtspopulistische Kräfte bei
den Europawahlen muß dringlich geführt werden. Darüber
waren sich Vertreter der Mitgliedsorganisationen der antifaschistischen
Internationalen Föderation der Widerstandskämpfer (FIR)
aus Frankreich, den Niederlanden, Griechenland und Ungarn einig. Die
Analyse des Phänomens war Thema einer Veranstaltung zu »Neofaschismus
und Rechtspopulismus in Europa« am Freitag in Frankfurt am Main.
Veranstalter war die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes
Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten, die am Wochenende ihren
Bundeskongreß abhielt, in Kooperation mit dem örtlichen
DGB und dem Studienkreis Deutscher Widerstand 19331945.
»Niemals haben wir uns solchen
unsäglichen Naziauftritten entgegenstellen müssen«,
beklagte die Französin Anita Baudouin. Hinter der Wahlentscheidung
der Franzosen, Marine Le Pens Front National mit 25 Prozent der Stimmen
ins EU-Parlament einziehen zu lassen, vermutet sie einen »Zustand
der Hoffnungslosigkeit verbunden mit Arbeitslosigkeit« sowie
»zunehmenden Konkurrenzkampf und Individualismus«. In
Frankreich habe das kurz vor der Europawahl angekündigte neoliberale
Sparprogramm Wirkung getan, stimmte sie mit Kees van der Pijl aus
den Niederlanden überein. Löhne einfrieren, Renten reduzieren,
Steuern senken: Diese drastischen Wirtschaftsreformen, ausgerechnet
vom sozialistischen Präsidenten François Hollande in Aussicht
gestellt, hätten viele enttäuscht.
Daß die neofaschistische Goldene
Morgendämmerung nun mit knapp zehn Prozent als drittstärkste
griechische Kraft ins Europaparlament einziehen kann, führte
der Grieche Gregorius Touglides darauf zurück, daß »die
Arbeiterklasse sich nicht genügend gegen den Kapitalismus gewehrt
hat«. Für triumphale Wahlerfolge der Faschisten trügen
sozialdemokratische Parteien Mitverantwortung, da sie das internationale
Kapital unterstützt hätten. Die Polizei in Griechenland
bediene sich fleißig der Goldenen Morgendämmerung, um Mitglieder
derselben in linke Demonstrationen einzuschleusen und dort Krawalle
anzuzetteln. Er betonte »die fatale Rolle« der Massenmedien:
Die hätten etwa die rechtsradikale Partei freundlich begleitet,
wenn diese Essenspakete an Arme verteilt habe nur an Griechen,
nicht an Migranten.
In Ungarn sei die Situation besonders
schlimm, so David Tucker von der ungarischen Vereinigung der Widerstandskämpfer
und Antifaschisten (MEASZ). Die dortigen Rechtsparteien Fidesz und
Jobbik kamen bei der Europawahl zusammen auf rund 66 Prozent der Stimmen.
Die Ursache hierfür sieht Tucker in der Enttäuschung über
die ehemalige linksliberale Regierung: Wer früher für sie
gestimmt habe, wähle nun mitunter die rechtsradikale Jobbik,
die Rassismus als Antwort auf alle Probleme anbiete. Die Frage aus
dem Publikum, ob Ungarn zum Polizeistaat tendiere, verneinte Tucker.
Die Polizei mache ihre Aufgabe, habe 2006 rechte Aufmärsche in
die Grenzen verwiesen. Sie greife nur dann hart durch, wenn die Regierung
dies anweise. Ein desillusionierendes Bild oppositioneller Bewegungen
in Ungarn zeichnete Tucker. Das Klima sei von Angst geprägt:
geschwächte, kraftlose Gewerkschaften; Roma-Vereine, die kaum
ihre Stimme erheben würden, einzig damit beschäftigt, ihr
Überleben über die nächsten Tage zu sichern. Das Fernsehen
sei bereits Ziel von Attacken der Faschisten geworden.
Der niederländische Politikwissenschaftler
van der Pijl sieht ein »im Zusammenbruch begriffenes System«
auf dem Weg zum autoritären Kapitalismus. Für antifaschistische
Kräfte sei es an der Zeit, »sich auf eine ernste Schlacht
vorzubereiten«. Wirtschaftswachstum sei nicht mehr zu erwarten,
Faschismus aber werde aus Verelendung geboren. Die EU werde zunehmend
mit kapitalistischer Macht identifiziert. Jegliche Opposition von
links werde als Terrorismus diffamiert. Wie ist Neofaschismus und
Rechtspopulismus entgegenzutreten? Als Gegenmacht, damit nicht aggressiver
Nationalismus profitiert, schlägt van der Pijl ein aus außerparlamentarischen
Kräften bestehendes »Internationales Komitee der Wachsamkeit«
vor: getragen von Künstlern, Gewerkschaftern, Umweltaktivisten,
Intellektuellen, Kirchenleuten etc.
Den Artikel finden Sie unter: http://www.jungewelt.de/2014/06-04/054.php
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